Kennt ihr meine mintfarbene und orangefarbene Strickweste? Lasst euch das mal auf der Zunge zergehen:
mintgrüne /
orangefarbene
Strick-
Weste
Ich trage jeweils eine der beiden genau einmal im Jahr.

Und ich bin mir sicher – ihr habt ebenfalls eine mintfarbene und orangene Strickweste in eurer Garderobe. Vielleicht nicht explizit dieses Teil aber metaphorisch. Ein Kleidungsstück oder ein Accessoire, das ihr im besten Fall einmal im Jahr aus der hintersten Ecke eures Kleiderschranks befreit.

Meistens haben diese Teile Eines gemeinsam – es handelt sich um ungeplante Käufe aus Schlussverkäufen oder Rabattaktionen und ihr einziges Kaufargument ist ein vergünstigter Preis.

Meine beiden Strickwesten sind keine Ausnahme – die eine hat 20, die andere nur 12€ gekostet – für Merinowolle ein echt guter Deal.

Doch liebe Freunde des kultivierten Lebensstils, ist das überhaupt ein valides Kaufargument für Textilien? – rhetorische Frage – natürlich nicht!
Viel eher sollten wir uns fragen, wie es sein kann, dass wir nach 3,5 Milliarden Jahren Evolution immer noch mit den mintgrünen und orangefarbenen Strickwesten dieser Welt vom Einkaufsbummel nach Hause zurückkehren.

Dafür gibt es mehrere psychologische Gründe. Unter Anderem der selbe Grund, weshalb ihr gerade YouTube schaut.

INSTANT SATISFACTION

Ein YouTube-Video zu schauen ist leichter, als eines zu produzieren, genauso wie es müheloser ist, einen Pullover zu kaufen, als ihn selbst zu stricken oder aber es unkomplizierter ist, ein Buch zu lesen, als eines zu schreiben.
Konsumieren fällt uns immer ist leichter, als Neues zu schaffen. Der Konsum ist die einfachste Art der Befriedigung. Er bedient unsere Bedürfnisse nach Balance, Dominanz oder Stimulanz und das gibt uns ein gutes Gefühl.

Dabei konsumieren wir eigentlich bereits viel zu viel – insbesondere Textilien.
Da fällt mir ein relativ aktuelles Beispiel ein. Bei der Flutkatastrophe dieses Jahr wurde darum gebeten, keine Kleidung zu spenden, da die Spendenlager binnen weniger Tage aus allen Fugen quollen.
Wie pervers ist es bitte, dass nicht etwa Lebensmittel, Medikamente oder technische Hilfsmittel im Überfluss vorhanden waren – sondern ausgerechnet Klamotten?

Aber es wird noch absurder

ARTIFICIAL INFLATION

Wenn ich euch erzähle, dass die meisten Textilien heutzutage Pfennigartikel in der Produktion sind, erfahrt ihr höchstwahrscheinlich nichts Neues. So ist es auch wenig überraschend, dass im Fast-Fashion Margen von 1:4 oder sogar 1:5 nicht unüblich sind.
Schließlich müssen in dieser Marge nicht nur die Ladenmiete und die Gehälter der Mitarbeiter berücksichtigt werden. Darüber hinaus müssen mit der Marge, Teile, die sich weniger gut verkaufen lassen, kompensiert werden. Zudem wird ein Risikoaufschlag für ungewöhnliche Größen und experimentelle Produkte im Portfolio einkalkuliert. Und am Ende ist in dieser Marge sogar eine Pauschale für die Vernichtung der übrig gebliebenen Ware am Ende der Saison enthalten.

Doch was heißt das konkret?
Ganz einfach – der reguläre Preis eines Kleidungsstücks spiegelt nicht den eigentlich Gegenwert wieder, sondern ist künstlich aufgeblasen.

Das heißt im Umkehrschluss aber auch, dass der Sale-Preis nicht etwa vergünstigt ist, sondern eigentlich der reguläre Preis sein sollte.

Doch wer sich diesen Missstand nicht regelmäßig vor Augen führt, wird immer wieder in die gleiche Falle tappen. Denn im Schlussverkauf zu vergünstigten Preisen zu shoppen ist nochmal besonders befriedigend. Das “Sparen” fühlt sich wie ein Erfolg an und dabei werden ganz besonders viele Endorphine ausgeschüttet.

Heißt das, Sparen macht glücklich? Auf jeden Fall! Solang wir davon überzeugt sind, dass der Sale-Preis besonders gut ist.

So kommt es, dass Konsumieren und Sparen sogar zu einer Sucht werden kann.

NO PURCHASE CLUB

Gegen die Konsum- oder Sparsucht hilft, wie bei jeder Abhängigkeit, nur der kalte Entzug.

Der No-Purchase-Club ist ein Internetphänomen, das wahrscheinlich genauso alt ist, wie das Konzept des Online-Shoppings selbst.
Die Idee des Clubs ist leicht erklärt – eine Gruppe an Menschen schließt sich mit der Absicht, in einem bestimmten Bereich ihres Lebens für einen gewissen Zeitraum keine weiteren Anschaffungen zu tätigen, zusammen.
Die Mitglieder müssen bei einem Verstoß der gesamten Gruppe offenlegen, was und weshalb sie die Regeln gebrochen haben – die Mitglieder kontrollieren sich gegenseitig.

Das System funktioniert ganz hervorragend, um sich auf Dinge zurück zu besinnen, die man bereits besitzt und nicht nur neue Anschaffungen wertzuschätzen.

Das mag im ersten Moment ganz schön unbefriedigend und streng klingen.
Und so ist es auch.

Ganz so überspitzt muss es aber nicht unbedingt sein. Gerade zu Anfang kann man die Regeln mit ein paar Ausnahmen kombinieren.

Der einfachste Weg ist zum Beispiel, Anschaffungen von der eigenen, vorher definierten Wunschliste zu dulden.
Man könnte aber auch nur den Kauf von Neuware vermeiden und Produkte aus Vorbesitz vom No Purchase Club ausschließen.
Genau so kann man sich als Ziel setzen, neue Anschaffungen nur aus einem Budget zu finanzieren, das sich aus Verkäufen aus dem eigenen Besitz zusammensetzt. So kommt man an Ende des Zeitraums auch bei 0 raus.
Darüber hinaus sollte natürlich eine besondere Ausnahme für Dinge, die verschleißen, wie zum Beispiel Hemden, definiert werden.

Falls euch der No-Purchase-Club zu radikal ist und ihr nicht auf sartoriale Anschaffungen verzichten möchtet, solltet ihr jetzt meinen Beitrag lesen, in dem ich erläutere, wie ihr nie wieder zu viel für Bekleidung ausgebt.

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